Wie ich anderen Menschen die Macht über mich nahm
- André Maaß
- 16. März 2022
- 6 Min. Lesezeit

Mich konnte man mal leichter spielen als 'ne Kinderflöte. In meinem Leben gab es Menschen, die genau wussten, wie man mich beeinflusst. Das Ergebnis war dann immer das gleiche. Ich habe gemacht, was sie wollten. Besonders schräg daran war, dass ich sogar noch geglaubt habe, es wären meine eigenen Ideen gewesen. Da kann man eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Am besten mit meinem. Mir war früher einfach nicht bewusst, dass es Menschen gibt, die unentwegt auf der Suche nach einem persönlichen Vorteil sind. Für die war ich leichtgläubiges und gutmütiges Schaf eine Beute, die sich beinahe von selbst auf den Teller gelegt hat. Da drängen sich zwei Fragen auf. Einerseits: Was war mit mir los, dass ich so gehandelt habe? Andererseits: Was sind das für Menschen, die mich so vor ihren Karren spannten?
Wie war ich denn drauf?
Fangen wir mal mit mir an. Es hat natürlich eine Geschichte, warum ich so einfach zu steuern war. Im Grunde begann es schon in meiner Kindheit. Meine Großeltern und mein Vater haben mir bereits sehr früh Glaubenssätze eingeimpft, mit denen es möglich war, mich zu lenken. Nicht, dass ich da eine Absicht unterstelle. Sie waren die besten Großeltern, die sie sein konnten. Gleiches gilt auch, bei allen Fehlern und Unmöglichkeiten, für meinen Vater. "Wenn du dich so verhältst, wie wir es gut finden, dann lieben wir dich." Das war im Rückblick einer der stärksten Sätze und ich bekämpfe ihn bis heute. Ich bin fast 50 und ich kann ihn noch immer gelegentlich spüren. So tief sitzt er. Im Laufe meiner jungen Jahre entwickelte sich daraus ein Handlungsschema. Egal in welchem Umfeld ich mich bewegte, wollte ich gemocht werden. Dafür hab ich eine Menge getan, indem ich mich nach Wunsch verhalten habe. Man könnte es zwar als Verrat an mir selbst bezeichnen, aber das war mir egal. Hauptsache man mag mich. Das ist natürlich aus heutiger Sicht total bekloppt. Daran kannst du aber sehen, wie verirrt und ungefestigt ich in meinem Standing war. Mit einer so mächtigen inneren Regel in mir hatten andere leichtes Spiel. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Satz meiner Großmutter, der meine ganze erbärmliche Einstellung von damals gut wiedergibt. Sie sagte, als ich mal nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollte: "Wenn du jetzt nicht artig bist, dann haben Oma und Opa dich nicht mehr lieb. Das willst du doch nicht, oder?". Das war nämlich die Konsequenz, wenn ich mich nicht unterordnete. Der Entzug von Zuneigung. Versuch dir einmal vorzustellen, was das mit einem Kind macht. Die Nummer hat bei mir voll gewirkt. Bei dir ja vielleicht auch.
Wie waren die denn drauf?
Weil ich so leicht zu durchschauen war, hat es natürlich auch Menschen angelockt, die sich davon Vorteile versprachen. Die konnten mich spielend um den Finger wickeln, weil sie schnell erkannten, wie ich ticke. Auf diese Weise war es möglich, mich in die gewünschte Richtung zu schieben. Mal waren es kleine Gefallen, bei anderen war es das Abschreiben von Hausaufgaben. Auf dem Gymnasium hatte ich einen Mitschüler, der im Grunde zu nichts Lust hatte. Wir waren dann zusammen in einem Unterrichtsprojekt gelandet. Er tat dafür absolut nichts. Jedes Mal, wenn wir zum Arbeiten verabredet waren, hatte er eine Ausrede, warum er doch nicht konnte. Das Ende vom Lied war, dass ich alles allein gemacht habe. Als es dann auf die Präsentation im Unterricht zuging, versuchte er, sich an das fertige Ergebnis von mir dranzuhängen. Mit Erfolg. Er stellte mir in Aussicht, dass er mich dafür auf einen Burger einladen würde. Zusätzlich nutzte er etwas, was bei mir sehr gut zog, weil ich davon als Kind nicht viel bekommen hatte. Wertschätzung. Also sagte er zu mir: "Du hast das alles echt so gut drauf, so gut könnte ich das nie. Du weißt ja, dass ich in dem Fach nicht so gut dastehe. Du würdest mir echt helfen, wenn du mich jetzt nicht im Stich lässt. Auf dich kann man sich wenigstens verlassen." Das verfehlte seine Wirkung nicht und ich ließ es zu. Mit der Wertschätzung war es dann nach der Präsentation wieder vorbei, sobald die Note feststand. Einen Burger gab es bis heute auch nicht. Berechtigterweise wirst du dich jetzt vielleicht fragen, wie blöd man sein kann. Wenn man derlei Situationen von einem mentalen Balkon aus betrachtet, sieht man, was da abgeht. Ich kann dir aber bestätigen, dass man es nicht sieht, wenn man selbst drin steckt. So bin ich ein ums andere Mal wieder darauf hereingefallen, ohne zu merken, was da mit mir gespielt wurde.
Zum Glück habe ich irgendwann angefangen, Fragen zu stellen
Nach sage und schreibe 40 Lebensjahren erst habe ich dann die Einschläge zum ersten Mal gemerkt. Aber nicht, weil ich ein total selbst reflektierter Typ bin. Wie bei vielen anderen Veränderungen in meinem Leben war es erneut der Burn-out, durch den ich angefangen habe, klarzusehen. Auf einmal merkte ich, dass sich Leute von mir entfernten, die sonst regelmäßig meine Nähe gesucht haben. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Schnell wurde mir aber bewusst, dass ein bestimmter Grund dahinter steckte. Sie hatten nichts mehr davon, bei mir zu sein. Ich war nicht mehr der, den man um einen Gefallen bitten und der etwas für sie tun konnte. Ich war ja krank und somit wäre es ja auch irgendwie anstrengend geworden, sich mit mir zu beschäftigen. Nun hätte es ja sein können, dass ich zur Abwechslung mal etwas von ihnen wollte. "Du meld' dich einfach, wenn du mal einen zum Reden brauchst." Das war so ein Satz, den ich zur Genüge gehört habe. Wenn ich mich dann tatsächlich mal öffnen und reden wollte, passte das aus vielfältigen Gründen gerade nicht. Es gab nur sehr, sehr wenige, die sich dann wirklich mit mir und meinen Herausforderungen beschäftigt haben. Denen bin ich bis heute dankbar. Wie so oft haben negative Dinge in der Regel auch ihre guten Seiten. Dadurch konnte ich erkennen, welche Menschen aus meinem Umfeld wirklich wertvoll sind und wen ich verabschieden muss. So ging ich die Leute durch, mit denen ich für gewöhnlich in irgendeiner Art Beziehung stand. Ich fragte mich, ob sie gut für mich sind, ob sie da waren, als ich sie brauchte, und ob die Energie zwischen uns im Gleichgewicht ist. Diese Fragen halfen mir zumindest bei einer neuen Orientierung.
Wer nicht mehr gut für mich ist, muss gehen
Tja, nun wusste ich, wer mir noch guttat und wer nicht. Und was jetzt? Nur die Erkenntnis allein, wer die Störfeuer in meinem Leben sind, brachte mich auch nicht nach vorne. Es muss auch was passieren. Für mich war erst einmal wichtig, dass fremde Menschen keine Macht mehr über mich hatten. Mit anderen Worten: Ich sagte meinem tief sitzenden Glaubenssatz den Kampf an. Für mich hat das am besten mit bewusst gewählter Einsamkeit funktioniert. Nein, ich bin nicht wie James "Grizzly" Adams in die Berge geflohen und hab' "Maybe" gesungen. Ich habe mich in mein Auto gesetzt und viel Zeit mit mir allein verbracht. Nebenbei liefen Hörbücher oder Musik. Ich ließ meinen Gedanken freien lauf. Dabei dachte ich über meine Kindheit nach und wie es wirklich zu diesem starken Glaubenssatz in mir gekommen ist. Bei der Gelegenheit entdeckte ich noch einige andere dieser inneren Regeln. Am Ende stand die Erkenntnis, dass die Themen Selbstliebe und Selbstwert große Entwicklungsfelder für mich waren. Bisher habe ich meinen Selbstwert im Außen gesucht, wollte Wertschätzung und vor allem von anderen gemocht werden. So definierte ich mich. Damit habe ich vielen Leuten Macht über mich gegeben. Begonnen hatte es mit meinen Großeltern und meinem Vater und es zog sich bis ins Erwachsenenalter. Damit sollte nun Schluss sein. Und ich habe es hingekriegt. Seit dem Burn-out bis heute ist es mir gelungen, mental völlig anders aufgestellt zu sein. Im Gegensatz zu früher suche ich heute meinen Selbstwert in mir. In den letzten Jahren bin ich darin stark geworden. Natürlich freue ich mich nach wie vor, wenn ich Wertschätzung erhalte oder gemocht werde. Aber ich suche nicht mehr danach und vor allem habe ich genug Selbstbewusstsein auszuhalten, wenn das mal nicht so ist. Letztlich habe ich die Menschen, die nicht gut für mich sind, aus meinem Leben verabschiedet. Sie mussten gehen. Das hat nur funktioniert, weil ich mich intensiv mit mir und meiner Vergangenheit beschäftigt habe. Mir selbst auf den Grund zu gehen, war der Schlüssel dazu.
Ihre Macht schwand, als mein Selbstwert stieg
Natürlich haben es viele von diesen Personen immer wieder versucht, mein gewohntes Verhalten zu erreichen. Was über so viele Jahre gut geklappt hat, muss doch auch weiterhin gehen. Denkste. Einerseits hatte ich die Ursachen für mein Verhalten gefunden. Andererseits hat mir meine Frau dabei geholfen, mich mental ganz neu aufzustellen und meinen Selbstwert zu stärken. Meine Veränderung passierte aber nicht von heute auf morgen, sondern hat Jahre gedauert. Wie mit vielem anderen auch, bin ich noch nicht da angekommen, wo ich hin will. Dafür sind die Glaubenssätze meiner Kindheit viel zu stark. Aber es hat sich bei mir viel getan und ich bin stolz darauf, dass ich nicht mehr diese leichte Beute wie früher bin. Mit jedem Tag, an dem mein Selbstwert einen Schritt nach vorn macht, schwindet die Macht anderer Menschen über mich. Im Vergleich zu früher bin ich gefestigt und gestärkt. Das ist ein fantastisches Gefühl. Es macht jeden einzelnen Moment wett, in dem es mir nicht gelungen ist, mich gegen die Beeinflussung anderer zu wehren. Niemand kann mich mehr lenken, demütigen oder beunruhigen. Es sei denn, ich lasse es zu. Weil ich es nicht will! Ich liebe mich selbst und damit nehme ich Leuten, die es nicht gut mit mir meinen, jegliche Angriffsfläche. Vielleicht geht es dir ja auch ein bisschen wie mir damals. Dann möchte ich dir Mut machen. Es wird einen Weg geben. Ob es gelingt, entscheidet einzig dein Wille und die Kraft, die du brauchst, dich von Menschen aus deinem Umfeld zu verabschieden. Weil sie dir nicht guttun.
Fröhlichst
dein André
Comments