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Ich lauf durch jede Wüste

  • Autorenbild: André Maaß
    André Maaß
  • 24. Feb. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Ich gebe zu, dass meine Leidenschaft, mit der Bahn zu fahren, recht ebenerdig angelegt ist. Nicht, weil die Bahn doof ist. Im Gegenteil. Sie hat absolut ihre Vorteile. Reisen mit Bewegungsfreiheit, kein Stau, Käffchen on demand und man kann sogar mal die Augen zu machen. All das fällt beim Autofahren vergleichsweise schwer. Nein, meine Abneigung liegt mehr daran, dass der Anteil anstrengender Menschen in Zügen deutlich höher ist, als in meinem Auto. Bereits am Bahnhof in meinem wunderschönen Lüneburg fällt mir auf, dass sich die Reiselust der meisten Passagiere in sehr eng gefassten Grenzen hält. Auffällig gute Laune haben lediglich eine Gruppe Mitzwanziger, die sich lachend unterhalten und ein Damenkegelclub, der sich gerade mit kleinen, allseits bekannten Fläschchen ängstlichen Feigenschnapses auf Reisegeschwindigkeit bringt. Dass es erst 7.30 Uhr ist, scheint da nicht weiter ins Gewicht zu fallen.


Ich sitze nicht "just for fun" im Zug nach München. Der Grund ist der beste der Welt. Meine Frau ist für einige Zeit in Bayern und ich bin auf dem Weg, sie zu besuchen. Ich kenne unzählige Männer, die die Abwesenheit ihrer Frau feiern und die vorübergehende Freiheit genießen würden. Für mich ist das definitiv nicht so. Nie war Genuss weiter entfernt. Ich kann aus tiefstem Herzen sagen, dass sie mir fehlt. Es ist nicht so, dass mir langweilig wäre, wenn sie nicht da ist. Mir fällt es überhaupt nicht schwer, Zeit für mich zu haben. Wir sind beide Menschen, die das sogar brauchen. Doch wenn ein geliebter Mensch einfach gerade nicht da ist, und das Tag und Nacht, dann ist das etwas vollkommen anderes. Ich gehe schlafen und sie ist nicht neben mir. Nachts werde ich wach und ich spüre sie nicht. Morgens mache ich die Augen auf und sehe kein geliebtes Gesicht. Komme ich von der Arbeit nach Hause, ist da kein strahlendes Lächeln, das mich begrüßt. Meinen Kaffee muss ich allein trinken und habe kein interessantes Gespräch über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Ich habe mir sogar einen anderen Platz gesucht habe, um meinen Kaffee zu trinken. Das Sofa, auf dem wir immer gemütlich zusammengekuschelt liegen und einen schönen Film schauen, ist momentan nur noch eine Sitzgelegenheit.


Manchmal bin ich beruflich selbst auf Reisen. Wenn ich dann abends im Hotelzimmer liege, fühlt es sich ähnlich an. Das liegt natürlich auch zu einem Teil an der fremden Umgebung. Vor allem aber daran, dass meine Frau nicht da ist. In solchen Momenten oder auch jetzt, da ich auf dem Weg zu ihr bin, um sie zu besuchen, spüre ich es besonders deutlich: Es ist für mich das Schönste auf der Welt, eine Partnerin zu haben, die ich so sehr vermissen kann. Klar komme ich auch ohne sie zurecht und sie ebenso ohne mich. Aber es gibt einen Unterschied zwischen "zurechtkommen" und "leben". Ich betrachte es als ein Geschenk des Lebens an mich, dass ich sie an meiner Seite habe. Ein weiteres Geschenk erlebe ich gerade: das Vermissen. Jemand hat mal gesagt, dass man niemanden vermissen kann, der immer da ist. Doch. Ich kann. Ich bin ja auch nicht "man". Weil ich den Menschen an meiner Seite habe, der ein Teil von mir geworden ist. Ich fühle mich unvollständig ohne sie. Umso größer ist das Vermissen momentan, wo sie für einen längeren Zeitraum nicht da ist. Für mich ist unterwegs zu sein nur deshalb schön, weil ich zu ihr nach Hause kommen kann. Weil "Zuhause" kein Ort, sondern ein Gefühl ist, das ich durch meine Frau empfinde.


Mir tun alle die von Herzen leid, die das nicht oder nicht mehr fühlen können. Und davon gibt es einige. Sie leben nur noch nebeneinander her. Die könnten genauso gut in eine WG ziehen. Das fängt schon damit an, dass sie den Menschen an ihrer Seite für selbstverständlich erachten. Sie verlieren keinen Gedanken daran, dass sie plötzlich allein dastehen könnten. Von jetzt auf gleich. Es gibt Männer, die sehen ihre Partnerin nur noch als Mutter der Kinder, Angestellte und Köchin. Und es gibt Frauen, die sehen ihren Mann nur noch als Arbeitstier, Befehlsempfänger und Erfüllungsgehilfen. Die Liebe, die sie einmal zusammengebracht hat, hat frustriert und kopfschüttelnd ihre Sachen gepackt und ist schon vor langer Zeit abgehauen. Auf dem Weg nach draußen hat ihr die Gleichgültigkeit lachend auf die Schulter geklopft, ist eingezogen und hat erstmal alle Wände dunkelgrau gestrichen.


Meine Dankbarkeit dafür, dass meine Frau und ich uns schätzen, lieben und vermissen, kennt keine Grenzen. Denn mir ist bewusst, wieviele genau das nicht erleben. Oder eben nicht mehr. So sitze ich nun innerlich strahlend voller Vorfreude im von mir nur durchnittlich gemochten Zug und fahre zu ihr. Mir ist dafür kein Weg zu weit, keine Mühe zu groß und keine Minute zu schade, denn auf mich wartet der für mich wundervollste Mensch der Welt.


Glücklichst

Dein André

 
 
 

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