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Wenn Einsamkeit Gift ist, dann trink's nicht

  • Autorenbild: André Maaß
    André Maaß
  • 15. Mai 2022
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Aug. 2022



Der Song "Allein allein" von "Polarkreis 18" lief neulich mal wieder auf meiner Playlist. Ich hatte schon ganz vergessen, dass der da überhaupt drauf ist. Nun hat ihn der Zufallsgenerator ausgewählt. Er ging mir sofort wieder ins Blut und vor allem in den Kopf. Okay, er ist jetzt nicht gerade ein absoluter Hammerhit aber eine gewisse Bedeutung hat er für mich schon. Erinnert er mich doch an die Zeit, als ich es genossen habe, allein für mich zu sein. Richtig gelesen. Ich habe es genossen, allein zu sein. Ich weiß, viele da draußen können es nicht nachvollziehen, was schön am Alleinsein ist. Gerade weil sich manch einer sehnlichst das Gegenteil wünscht und die Nase voll davon hat, immer allein zu sein.


Was sollen denn die anderen denken?


Nur weil ich allein bin, bedeutet es nicht automatisch, dass es sich um Einsamkeit handelt. Allein zu sein ist in der Regel eine bewusste Entscheidung. Wird mir der Trubel in meinem Leben einmal zu viel, dann suche ich bewusst das Alleinsein, um wieder zu mir zu finden. Ich brauche dann Ruhe und Schweigen. In meinem Job habe ich jeden Tag mit sehr vielen Menschen zu tun und ich lerne auch ständig neue kennen. Das sind vielfach ganz tolle Leute und ich nehme das als total positive Zeit wahr. Gelegentlich kommt es aber auch vor, dass mal schwierige, nervige und anstrengende Exemplare unserer Gattung darunter sind. Dann wächst schnell der Impuls, Abstand zu nehmen. Zeit für mich war mir als Kind schon wichtig. Das hat sich bis heute gehalten und ich kann sehr gut mit mir allein sein. Für mich ist das sogar eine Form von Qualitätszeit. So wie ich es genieße, mit meiner Frau oder meiner Familie Zeit zu verbringen, kann ich mich ebenso für Momente ganz allein begeistern. Im Laufe meines Lebens habe ich auch schon Urlaub nur mit mir selbst gemacht. Hin und wieder ist es mir wichtig, ganz auf mich und meine Gedanken konzentriert sein zu können. Ich finde, dass das unglaublich erdet und ich kann mich wieder neu sortieren. In den letzten Jahren hat sich das wieder etwas verändert. So wie ich mich verändert habe. Ein Urlaub allein kann ich mir zwar immer noch vorstellen, habe aber derzeit gar kein Verlangen mehr danach. Viele fanden früher übrigens völlig schräg, dass ich ab und zu allein im Kino war. "Da kommt man sich doch dämlich vor", war einer der Kommentare, die ich zu hören bekam. Ist das so? Fühlt man sich dann merkwürdig, nur weil man ohne Begleitung ins Kino geht? Ich kam mir jedenfalls nicht komisch vor. Tue ich beim Fernsehen zu Hause ja auch nicht. "Ja, da ist es auch was anderes. Da sind keine Leute", wurde mir dann entgegengehalten. Aha. Da steckt also das Problem. Es geht eher darum, was die anderen denken. Ich bin davon überzeugt, dass viel mehr Menschen durchaus mal allein ins Kino gehen würden, wenn sie keinen Schiss davor hätten, von der Welt schräg angeschaut zu werden. Mir persönlich war das damals völlig wumpe, was andere sich dabei gedacht haben. Im Gegensatz zu denen komme ich gut mit mir zurecht. In meiner Jugend und als junger Erwachsener war das bei mir aber auch anders.


Einsamkeit ist kein Schicksal


Der wohl größte Unterschied zwischen dem Alleinsein und der Einsamkeit liegt meiner Meinung nach in einer Sache: Alleinsein ist bewusst gewählt. Ich ziehe mich absichtlich von meinem Umfeld zurück, um auf mich selbst fokussiert zu sein. Die Zeit, die ich habe, fülle ich mit Dingen, die mir am Herzen liegen. Weil ich es so will! Bei der Einsamkeit sieht die Sache schon etwas anders aus. Sie ist auch ein ganz anderes Gefühl, das sich da in einem breit macht. Einsamkeit kommt meiner Ansicht nach aus einem fehlenden Selbstwertgefühl und der daraus angenommenen Einstellung zu sich und dem Leben. Auch das kenne ich. Es gab eine Zeit, in der ich mich extrem einsam gefühlt habe. Dabei war ich gar nicht allein, denn ich war mitten unter meinen Freunden. Hä? Ja das geht. Mittendrin und nicht dabei. Als Single umgeben von lauter Pärchen zum Beispiel. Mit der Zeit fühlt sich das echt dämlich an. Es waren dann ganz kleine Situationen, in denen ich mir komisch vorkam. Einmal war ich zu einer Hochzeit eingeladen und saß als Single an einem Tisch mit lauter Paaren. Sie hielten Händchen, gaben sich einen verträumten Kuss, alberten herum, ließen sich gegenseitig von ihren Essen probieren, gingen tanzen. Ich selbst saß da und es wurde mit der Zeit immer unangenehmer, denn ich kam mir irgendwann überflüssig vor. Die Blicke, die ich erntete, waren zwar nie so gemeint, aber ich empfand sie als mitleidig: "Och der Arme, hat immer noch keine Partnerin." Das Gedankenkarussell nimmt sofort Fahrt auf und die negativen Gefühle folgen auf Briefmarkenabstand hinterher. So ist es auch, wenn im Jahr die kuschelige Zeit kommt. Alle genießen die gemütliche Zweisamkeit und kurz darauf kommt der fröhliche Jahreswechsel. So wie ich damals, denken sich nicht wenige nur: "Und wieder ein neues Jahr voller Einsamkeit." So habe ich das selbst durch. Zu der Zeit unterhielt ich mich einmal mit einem Freund darüber und wurde regelrecht wütend, weil mich das Thema so traf. "Ich such mir das doch nicht aus, einsam zu sein, verdammt nochmal." Ich wollte ja gern einen Menschen an meiner Seite haben, den ich lieben kann und von dem ich geliebt werde. Es klappte nur irgendwie nie. Am Ende hatte ich mich richtig in eine Opferrolle reingesteigert. Mit von der Partie waren die "fantastischen Vier" unter den Opfervokabeln: IMMER, NIE, ALLE und KEINER:

"Immer haben nur die anderen Glück."

"Nie finde ich mal jemanden fürs Herz."

"Alle haben jemanden, nur ich nicht."

"Keine will mich."


Was war ich für ein Jammerlappen


Boah, wenn ich über die damalige Zeit nachdenke, war ich echt der Zuchtbulle unter den Jammerlappen. Heute bin ich zu einer sehr entscheidenden Erkenntnis gelangt: Ich hatte mir die Einsamkeit selbst ausgesucht. Es war meine Entscheidung, einsam zu sein. Ja, ich weiß, das klingt schräg. Aber wenn man sich das mal ganz bewusst macht, wird es einem klar. Dazu muss man aber ganz objektiv in den Spiegel schauen und sich selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Damit meine ich übrigens nicht, dass man sich runterputzt oder selbst beschimpft. Nur einfach mal kritisch wahrnehmen. Dann hakt man einen Punkt nach dem anderen ab. So hab' ich das auch gemacht. Hier nur mal ein paar Beispiele, damit du weißt, was ich meine.


Nehmen wir die Gesichtssprache. Was sagt dein Gesicht aus? Wie guckst du und wie gehst du durch die Welt? Ich bin damals meist schlecht gelaunt und miesepetrig herumgelaufen. Die Mundwinkel hingen. Meine Augen strahlten den Charme eines verlassenen Friedhofs aus. Glaubst du, das wirkt anziehend auf andere Menschen?


Wie ist deine Körperhaltung? Meine ließ ebenfalls zu wünschen übrig. Was im Gesicht begann, setzte sich über meine Haltung fort. Hängende Schultern, gelangweilter Gang, der ewige Müdigkeit ausstrahlte. Nie waren Energie und Lebensfreude weiter entfernt. Wie wirkt so jemand auf dich?


Was ist aus deiner Stimme zu hören? Meine jedenfalls gesellte sich da in entsprechendem Ton der Frustration mit hinzu. Aus mir sprach buchstäblich die schlechte Laune. Mit solchen negativen Schwingungen hätte ich vermutlich sogar Erdbebenseismografen zum Ausschlagen gebracht. Hättest du da Lust auf eine Unterhaltung?


Worüber sprichst du? Bei mir war es richtiger Mist, den ich inhaltlich von mir gegeben habe. Der absolute Opfertalk. Alles war nur negativ und an allen Dingen fand ich schnell etwas, was ich kritisieren konnte. Jammern war meine zweite Fremdsprache. Selbst, wenn es jemand gut mit mir meinte und helfende Tipps geben wollte, fand ich stets ein "Aber das geht ja nicht, weil..." Würdest du die Nähe eines solchen Gesprächspartners suchen?


Kleidest du dich oder ziehst du nur irgendwas an? Die Auswahl meiner Klamotten korrespondierte unaufgeregt mit der restlichen Trauergestalt. Was ich da trug, waren Sachen, die entweder total alt waren oder aussahen, als hätte ich sie aus irgendeiner Restrampe im Duzend gekauft. Stil war auch mit ausgeklügelten Messverfahren nicht zu finden. Ich gehörte eindeutig zu den Leuten, die sich einfach nur irgendwas anziehen. Steigert das die Chancen, positiv wahrgenommen zu werden?


Bist du gepflegt oder glaubst du das nur? Beim Blick auf die Körperpflege musste ich dann eingestehen, dass einmal die Woche rasieren vielleicht doch ein bisschen wenig war. Zudem hätte es sich gelohnt, auch die Friseur-Frequenz zu erhöhen. Außerdem wären gelegentliche Spritzer Eau de Toilette unschädlich gewesen. Glaubst du, dass potenzielle Partnerinnen Lust gehabt hätten, mich so kennenzulernen?


Meinst du, dass Alkoholatem anziehend wirkt? Für den krönenden Abschluss sorgte bei mir dann, dass ich auf Partys gern mal das ein oder andere Bierchen getrunken habe. Undiplomatisch ausgedrückt könnte man sagen: Ich hab' es krachen lassen. Bei Bier ist es ja so: Um nach Bier zu stinken, ist nicht die Menge entscheidend. Es genügt schon, dass man überhaupt eines getrunken hat. Entsprechend "angenehm" muss ich gerochen haben. Meinst du, dass da irgendeine Frau sagt: "Au geil, das riecht ja fantastisch und erst der Geschmack beim Küssen muss ja der Hammer sein."?


So, jetzt füge ich dieses Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen und mir wird schlecht. Wenn ich das Gesicht zur Faust geballt habe und rumlaufe wie 'ne Sättigungsbeilage, die keiner bestellt hat, ständig nur rumjammere und maule, meine Körperpflege zum Teufel schicke, aber dafür bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu tief ins Glas schaue oder mich zu Hause verstecke anstatt unter Leute zu gehen: Muss ich mich da wundern, dass ich einsam bin?


Nur ich war das Problem


Es gab genau einen Menschen, der für meine Einsamkeit verantwortlich war: ich. Das hatte ich irgendwann erkannt. Die Erkenntnis selbst war erst einmal ziemlich hart. Es dauerte etwas, bis ich das verstand. Dann habe ich angefangen, die Dinge zu verändern. Schritt für Schritt. Ich habe alte Klamotten weggeschmissen und es hat mir sogar Spaß gemacht. Dann begann ich damit, mehr auf meine Körperpflege zu achten. Vor allem machte ich mir Gedanken darüber, wie ich auf mein Umfeld wirken wollte. Zuletzt versteckte ich mich nicht mehr in meinen vier Wänden und jammerte auch nicht mehr vor mich hin. Ich ging raus und suchte die Gesellschaft anderer. Allerdings nicht mit der Zielsetzung: "Heute lerne ich die Frau meines Lebens kennen." Stattdessen war meine Einstellung, dass ich rausging, um in Gesellschaft eine tolle Zeit zu haben. Ich war erstaunt, wie schnell ich neue Leute kennenlernte. Ich hatte am Ende nur ein paar Kleinigkeiten verändert. Das zog eine große Wirkung nach. Ich suchte die Schuld für meine Einsamkeit nicht mehr bei anderen. Einzig und allein bei mir lag der Grund.


Schluss mit den Rechtfertigungen dafür, mich gehen zu lassen. Weg mit dem ganzen "ja aber"-Gefasel. Nur ich trage die Verantwortung für die Situation, in der ich mich befinde und nur ich kann sie verändern. Klar war es herrlich bequem, sich zurückzulehnen und zu jammern. Dann suhlt man sich so wunderbar im Selbstmitleid und bedauert sich jeden Tag wieder aufs Neue. Man braucht nicht darauf zu warten, dass man von jemandem aus der Einsamkeit gerettet wird. Es kommt keiner. Die Alternative ist, es anzupacken. Man verändert sich in kleinen Schritten und verlässt wie von selbst die triste Ödnis des selbst gewählten Leids.


Es lohnt sich, denn da draußen warten tolle Menschen!


Fröhlichst

dein André





 
 
 

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