Unglück "on demand"
- André Maaß

- 5. Sept. 2021
- 5 Min. Lesezeit

„Immer dieses Positiv-Gequatsche. Das geht mir voll auf den Sack. Wo du hinguckst, wird dir vorgegaukelt, wie bunt und toll die Welt ist. Nun sagst du auch noch, dass es dir gut geht, du glücklich bist und ein tolles Leben führst. Das nervt!“.
Mega spannend, was es bei anderen auslösen kann, wenn ich nach außen zeige, dass es mir gut geht. Der Kollege, den ich zitiere, ist jetzt kein Einzelfall, dem gerade was Doofes passiert oder der einfach mit dem falschen Bein voran aus dem Bett geplumpst ist. Glück und gute Laune lösen bei so manch einem tatsächlich das Gegenteil aus. Das hat vielschichtige und meist sehr persönliche Gründe. Aber eben nicht nur. Über allem schwebt augenscheinlich eine Art Grundlust vieler Leute auf Negatives. Das ist mir schon oft aufgefallen. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Erlebnis bei meinem letzten Arztbesuch. Der übliche Check-up steht an. Bis ich dran bin, sitze ich im Wartezimmer. Außer mir sind da noch zwei ältere Damen, die sich bemüht flüsternd unterhalten. Ich verstehe jedes Wort. „Wie geht es dir denn so?“, fragt Dame A, woraufhin Dame B antwortet: „Mir geht es sehr gut. Ich fahre bald in die Berge in den Urlaub und bei der Gelegenheit besuche ich meine Kinder und Enkel in München.“ Jetzt passiert etwas Faszinierendes. Dame A antwortet: „Ah, schön... schön.“ Leerer Blick. Betretene Stille. Das Gespräch ist vorbei. Nach kurzem Schweigen erwidert Dame B die Frage, wie es denn Dame A geht. Was nun folgt, ist ein leidender Bericht über die Beschwerden, Schmerzen und Krankheiten, die A offenbar gesammelt hat. Es entspinnt sich ein angeregtes Gespräch. Als ich aufgerufen werde und das Wartezimmer verlasse, schwenkt es gerade in Richtung „Weißt du wer gestorben ist?“. Wenn es einem Menschen gut geht, schwindet allem Anschein nach das Interesse an ihm und die Kommunikation kommt zum Erliegen. Hat einer jedoch Schlimmes zu berichten, folgt ein schier unerschöpflicher Gesprächsfluss, der sich im Verlauf immer weiter ins Dramatische aufschaukelt. Das Unglück scheint demnach spannender zu sein, als das Glück. Ich habe den Eindruck, dass es uninteressant, ja sogar nervig für viele ist, wenn es einem anderen gut geht.
Ein kleiner Selbsttest
In mir klang über viele Jahre eine Art negativer Grundton. Er ist über einen sehr langen Zeitraum unmerklich gewachsen und hat sich in mir verfestigt. Darüber bin ich mir in der Zeit meiner Wandlung, die im Jahr 2012 begann, klar geworden. Erst seit ich verschiedene Dinge in meinem Leben verändert habe, ist dieser Grundton schwächer geworden, bis er gänzlich verstummte. Gerade deshalb interessiere ich mich sehr dafür, zu erfahren, woher sowohl bei mir, als auch bei vielen Menschen meines Umfelds diese negative Einstellung zum Leben rührt. Es ist meine feste Überzeugung, dass es viel damit zu tun hat, was täglich von außen auf uns wirkt. Ich hatte da so einen Verdacht. Das obige Zitat meines Kollegen war dann letztlich der Impuls für einen kleinen Test. Dazu habe ich mir das TV-Programm eines zufällig gewählten Wochentages herausgesucht und mir angeschaut, was von 6 großen Sendern angeboten wurde. Ich wollte wissen, welche Art Sendungen im Fernsehen auf uns einprasselt. Mein Ziel war es, herauszufinden, ob es wirklich eine rosarote, plüschige Einhornwelt ist, mit der wir weichgespült werden, wie mein Kollege beklagte. Also nahm ich mir eine Programmübersicht und schaute mir an, was da von morgens um 5 Uhr bis zum nächsten Morgen um 5 Uhr in der Kiste flimmert. Das Ergebnis war sehr total spannend und aufschlussreich für mich. Es erklärte sich dadurch eine Menge. In diesen 24 Stunden gab es allein 33 Sendungen, die mit Verbrechen verschiedenster Facetten zu tun hatten – sogar früh morgens schon! Weitere 32 Sendungen waren sogenannte „Dokusoaps“, die allesamt mit menschlichen Dramen zu tun hatten. Zudem gab es noch 16 „Magazine“, die sich in der Hauptsache mit Skandalen, Unmenschlichkeiten und Schicksalsschlägen befassten. Abgerundet wurde das Programm dann noch mit 3 Spielfilmen, die Abgründe und Verbrechen zum Thema hatten. Die meisten Sendungen sind täglich wiederkehrende Formate. Manche werden sogar am selben Tag noch wiederholt. 84 Sendungen - in Worten VIERUNDACHZIG - in denen es beinahe ausschließlich um negative Themen geht. An nur einem Tag! Tja, nun bleibt noch die Frage, wie viele Sendungen es gab, in denen es ausschließlich um Positives, Glück und echte gute Laune ging? Die Antwort: Es waren exakt 0. Also keine Spur von „Positiv-Gequatsche“, wie mein Kollege es empfunden hat. Warum empfindet er aber so? Mein Erklärungsversuch ist, dass wir mittlerweile täglich so viel negative Dauerberieselung bekommen, dass es sich auf die Grundstimmung vieler Leute ausgewirkt hat. Das Ergebnis: Es fällt sofort sehr deutlich auf, wenn jemand eine positive Lebenseinstellung hat und er Glück und gute Laune nach außen zeigt. Dieser Kontrast wird dann zum Aufreger, weil es in der Wahrnehmung dieser Menschen nicht sein kann, dass jemand einfach gut drauf ist und die Sonnenseite des Lebens sieht.
Die guten Gefühle packen ihre Sachen und verschwinden
Für mich persönlich ist es absolut nachvollziehbar, warum so viele mit hängenden Backen und gesenktem Kopf durch ihre Welt trotten. Der Nebel aus schlechten Nachrichten, Streit, Dramen, Schicksalsschlägen, Skandalen, Gewalt und Verbrechen wabert um uns herum. Er nimmt uns die Sicht auf die schönen Dinge des Lebens. Jedes Mal bleibt ein bisschen was von diesem Nebel in unserer Seele hängen. Auf Dauer und fast unmerklich packen die guten Gefühle und Stimmungen ihre Sachen zusammen und verschwinden. Das Fernsehen ist nur eine von vielen Quellen, aus denen Negatives direkt in unsere Herzen sprudelt. Da ist es auch kein Wunder, wenn ich Sätze wie die vom Anfang des Beitrages zu hören bekomme. Diese ständigen, düsteren Botschaften, die wir täglich aus allen möglichen Richtungen zu hören, sehen und lesen bekommen, haben in unglaublich vielen Menschen offenbar eine Art Allergie auf Positives ausgelöst. Das führt sogar dazu, dass zornig, sarkastisch und beinahe schon aggressiv auf gute Laune und Glück reagiert wird. Ich persönlich habe damit meinen Frieden gemacht. Denn würde ich diese Reaktionen an mich heranlassen, wäre vorprogrammiert, dass ich auch wieder so werde. Genau das soll mir nicht mehr passieren und ich tue alles dafür, dass Glück und gute Laune in mir den größten Raum einnehmen. Klar gibt’s auch bei mir schlechte Tage. Es braucht immer den Kontrast. Du kannst nicht wissen, wie sich Glück anfühlt, wenn du das Pechgefühl nicht kennst. Glücklich und gut gelaunt zu sein, hat nichts damit zu tun, ständig durch eine rosarote Brille zu schauen und Zuckerwatte im Kopf zu haben. Gut drauf zu sein und Glück fühlen zu können bedeutet lediglich, eine starke innere Abwehr gegen die negativen Botschaften des Umfelds zu haben. Ständig traurig, mürrisch, neidisch, argwöhnisch, frustriert und unzufrieden zu sein, ist das Ergebnis der Dinge, die täglich wie Strahlung aus den verschiedensten Richtungen auf dich einwirken. Bei zu viel Sonne cremst du dich ein, ziehst dir was über oder gehst ins Haus, um keinen Brand zu bekommen. Was tust du ab heute, um der negativen Wirkung deiner Welt zu entgehen?
Fröhlichst
Dein André








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