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Treibsand der Unzulänglichkeit

  • Autorenbild: André Maaß
    André Maaß
  • 23. Aug. 2021
  • 4 Min. Lesezeit


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Nun ja, so wie in irgendwelchen Abenteuerfilmen ist es mit dem Treibsand nicht wirklich. Da rennen Filmhelden durch Wüsten und die (trotz Gluthitze, Trockenheit und körperlicher Überforderung super frisierte und top geschminkte) weibliche Hauptrolle versinkt plötzlich kreischend im Untergrund. Heroisch rettet der Held sie dann in letzter Sekunde, wenn nur noch die Hände aus dem wüstischen Baumaterial herausgucken. „Wie romantisch“ denkt die Kinobesucherin. „Ja nee, is klar.“ denkt die männliche Begleitung daneben.

Aber mal ernsthaft. Wenn du wirklich in Treibsand gerätst, sinkst du tatsächlich ein gutes Stück ein. Das passiert aber nicht in Wüsten, denn für Treibsand benötigst du erst einmal eine Menge Wasser zwischen dem Sand. Musst du mal nachlesen. Tatsache ist aber, dass du weiter einsinkst, je mehr du dich bewegst. So ging es mir über Jahrzehnte in meinem Leben. Ich wollte mein Umfeld zufriedenstellen und es allen recht machen. Eins gleich vorneweg: Ist mir nicht gelungen. Es fühlte sich tatsächlich wie versinken im Treibsand an. Je mehr ich strampelte, desto tiefer versank ich.

„Papa, guck mal! Ich habe in der Mathearbeit, bei dem Thema, dass ich nicht gut konnte, eine 3+ geschrieben!“

„Aha. Und warum hast du keine 2?“


Willkommen im Club

Na, fühlst du dich an deine Jugend erinnert? Willkommen in einem der ältesten Clubs aller Zeiten. Der „Club der Unzulänglichkeit“. Keiner von uns hat jemals um die Aufnahme gebeten und doch sind wir darin gelandet. Viele von uns haben sogar die Gold-Mitgliedschaft. Ich auch. Dafür sorgt schon in frühester Kindheit unser Umfeld. Logisch, nicht bei jedem, aber erschreckend oft! Das passiert, ohne dass du etwas dazutust und es ist nicht mal richtig fühlbar. Es sind Sätze, Weisheiten und Allgemeinplätze, die dir ins Gehirn gepustet werden. Diese werden dann zu Glaubenssätzen, die sich fest in dir verwurzeln. In meiner Schulzeit erlebte ich das sehr häufig. Ich gehöre zu dem Jahrgang, der zwei Jahre die unsägliche Orientierungsstufe mitmachen musste. Hier erinnere ich mich das erste Mal bewusst daran, dass ich Erwartungen nicht erfüllte. Einige wenige Lehrer hatten ein Gespür für die Unterschiedlichkeit von uns Kindern. Sie sahen die individuellen Fähigkeiten in uns und versuchten, sie zu fördern. Die meisten jedoch legten Schablonen über uns und wer dort nicht hineinpasste, war eben bei der Zensurenvergabe raus. Die Persönlichkeit spielte dabei keine Rolle. Maßstab war das, was der Lehrer bzw. die Lehrerin als Vorstellung hatte. Und das war bei jedem anders. Mir wird noch heute schwindelig, wenn ich an den Eiertanz denke, den ich aufführte, um den unterschiedlichen Anforderungen, Vorstellungen, Ansichten und Meinungen gerecht zu werden. Mal ein simples Beispiel: In Schulfach A bei Lehrer B sollte ich meine Pappmappe so führen, dass das älteste Blatt immer vorne war und das neueste Blatt immer hinten dran geheftet wurde. In Schulfach C bei Lehrerin D sollte ich eine Plastikmappe mit durchsichtigem Deckel führen und hier sollte das neueste Blatt immer vorne sein. So hatte jeder Lehrer seine Vorstellung von einer korrekt geführten Mappe und wehe, ich hielt mich nicht daran. Das führte dann nämlich sofort zu einer Abwertung meiner Zensur. Nur eines von vielen Beispielen, wie ich verzweifelt versuchte, es in der Schule allen recht zu machen.


Ich rotierte wie ein Brummkreisel

Mich so zu verhalten, dass alle in meinem Umfeld zufrieden sind, ist unmöglich. Egal ob es sich um Eltern, Großeltern, Partner, Freunde, Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden handelt: Irgendeiner ist garantiert unzufrieden und weiß hunderte Wege, wie ich es hätte besser machen können - natürlich hinterher. Heute bin ich selbst reflektiert und kann damit umgehen. Eine sehr lange Zeit meines Lebens war das aber nicht so und ich rotierte wie ein Brummkreisel, um den Erwartungen um mich herum zu genügen. Blöd. Richtig blöd. Jaaahaaa ich weiß das. Heute! Damals sah ich das nicht. Was ich jedoch deutlich merkte war, dass es mir auf die Stimmung ging, nicht genug zu sein. Es machte mich unglücklich. Ohne es so richtig zu hinterfragen, spielte ich das Spiel über Jahre bis ins Erwachsenenalter hinein mit. Je mehr mir signalisiert wurde, dass das, was ich tue, nicht zufriedenstellend ist, desto stärker versuchte ich es. Immer und immer wieder stellte ich mich und wollte es beim nächsten Mal besser machen. In den meisten Fällen war der Erfolg dürftig oder blieb sogar ganz aus. Also steigerte ich meine Bemühungen noch weiter, es meinem Umfeld recht zu machen. Das war genauso erfolgreich wie Zähneputzen mit Nutellabrot im Mund. Dieses Karussell drehte immer schneller. 2012, inmitten meines Burn-outs, begann ich damit, es auszubremsen und heute bin ich ganz ausgestiegen. Dabei hat mir ein Satz geholfen, den ich mir wie eine Art Mantra selbst immer wieder gesagt habe. Er ist zu einer Lebenseinstellung geworden. Seit ich diese Einstellung habe, hat sich mein persönliches Glück deutlich erhöht. Ich schüttele immer wieder den Kopf und frage mich, wie ich so kurzsichtig und dämlich sein konnte, mich selbst so unter Druck zu setzen. Mir ist völlig schleierhaft, was mich da geritten hat, die Vorstellungen anderer Menschen höher zu setzen, als meine eigenen. Gelegentlich erwische ich mich heute noch dabei, dass ich wieder in alte Muster verfalle. Dann hilft mir wieder mein Mantra:

„Es tut mir leid, dass ich deine Erwartungen nicht erfülle, aber meine sind mir wichtiger!“

Fröhlichst

Dein André



 
 
 

2 Kommentare


André Maaß
André Maaß
30. Aug. 2021

Das, was Sie da beschreiben, kenne ich sehr gut. Ich habe mich selbst sehr unter Druck gesetzt. Es mögen andere Beweggründe gewesen sein, der Druck ist aber sicher der Gleiche. Für mich galt es, das erst einmal abzustellen und mir selbst genug zu sein. Für mich lief es darauf hinaus, mir über meinen Selbstwert klarzuwerden, um dann wieder Selbstliebe und Zufriedenheit mit mir selbst zu erlangen. Das hat bei mir Jahre gedauert. Heute kann ich sagen, dass ich in mir selbst ruhe. Ich bin, wie ich bin und wer mich so nicht mag, verdient mich auch nicht anders. Dieser Druck, den ich mir selbst gemacht habe, hat sehr viel dazu beigetragen, dass ich überhaupt erst im Burn-out gelandet bin. Das…

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acjochimsen
30. Aug. 2021

Schönes Mantra.

Was, wenn die eigenen Erwartungen an einen selbst die höchsten von allen sind?

Mir selbst gerecht zu werden, finde ich viel schwieriger als anderen gerecht zu werden.

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