Sprich es aus, damit es nicht zu spät ist
- André Maaß

- 14. Dez. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Dez. 2021

So viele Dinge nehmen wir ganz selbstverständlich hin, ohne auch nur einen Moment noch darüber nachzudenken. Als wenn wir eine Garantie dafür hätten, machen wir jeden Morgen die Augen auf, klettern aus dem Bett, frühstücken, gehen zur Arbeit oder machen einfach, worauf wir gerade Lust haben. Ich gebe zu, es wäre auch Zeit für ein Beruhigungsmittel, wenn wir all das jeden Tag ausgelassen feiern würden. Dennoch hat mich das Thema nicht so ganz losgelassen. Los ging es damit, dass ich nach einem Seminar auf dem Weg ins Büro noch an einem Testzentrum angehalten habe. Während ich da so in der Schlange stand und wartete, fiel mein Blick auf ein junges Paar. Zuerst habe ich nur sie gesehen, als sie aus dem Auto stieg. Sie ging um das Auto herum zur Heckklappe. Nachdem diese hochgefahren war, fuhr eine Rampe mit einem Mann im Rollstuhl heraus und setzte auf dem Parkplatz auf. Sie lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss.
Vielleicht hatten sie mal ein anderes Leben
Die Szene empfand ich sehr warm und liebevoll. Während ich den beiden auf ihrem Weg in den Supermarkt nach sah, kletterten meine Gedanken über den mentalen Zaun und gingen spazieren. Wer sind die beiden, die ich da eben beobachtet habe? Was für eine Geschichte haben sie? Möglicherweise haben sie ja mal ein anderes Leben gehabt, in dem er nicht im Rollstuhl gesessen hat. Nun lebt er mit dieser Einschränkung, hat eventuell Pläne und Wünsche neu definiert und sich mit der veränderten Situation arrangiert. Er schien mir jedoch keinesfalls unglücklich. Er und seine Begleiterin haben sich sehr liebevoll angesehen und angestrahlt. Beide schienen mir in diesem Leben mit all seinen Herausforderungen angekommen zu sein. Diese Szene hatte sehr viel Kraft und Schönheit. Nach dem Test saß ich wieder in meinem Auto und mich hatte das, was ich auf dem Parkplatz gesehen hatte, noch nicht losgelassen. Meine Gedanken zeigten mir einen kleinen Film, in dem ich in unterschiedlichen Situationen zu sehen war. Es waren eine ganze Reihe von Sequenzen, die alle eines gemeinsam hatten: Sie zeigten mir, was für ein glückliches Leben ich führe. In diesen Momenten wurde mir wieder einmal bewusst, wie gut es mir geht und wie viel Glück in mein Leben gekommen ist. Klar, es gibt auch die negativen Seiten und wenn man nicht aufpasst, lässt man sich allzu sehr von solchen Schwingungen mitreißen. Während meiner Burn-out-Zeit war ich ja schon intensiv dazu übergegangen, mir immer wieder die positiven Dinge meines Lebens vor Augen zu führen. Das bewirkt jedes Mal euphorische Glücksgefühle in mir. So war es auch jetzt, als ich im Auto saß. Vor allem sah ich meine Frau, die so viel Tolles in mein Leben gebracht hat. Ihre Liebe ist es, die einen riesigen Anteil daran hat, dass ich heute bin, wie ich bin. Während ich da so vor mich hin lächle, kommt mir noch ein anderer Gedanke.
Sage ich ihr oft genug, wie viel sie mir bedeutet?
Gerade momentan ist es echt schlimm, zu erleben, wie sich Menschen voneinander entfernen und spalten. Es ist viel Streit und Disharmonie da draußen, obwohl doch genau das Gegenteil im Moment so wichtig wäre. Leute, die sich vollkommen fremd sind, streiten sich öffentlich im Internet, beleidigen und bedrohen sich auf das Übelste. Glauben die tatsächlich, dass das am Ende irgendeine Bedeutung hat, wer nun im Recht oder welche Meinung die einzig Wahre ist? Sie sind schon so tief in Verbitterung verkrampft, dass sie nur noch Dinge sehen, die uns trennen anstatt zu vereinen. Was ist das um Himmels willen für eine Zeitverschwendung? Jedem muss klar sein, dass seine Zeit irgendwann abgelaufen ist. Mir ist das sehr bewusst. Wenn ich eines Tages mal gehen muss, zählt für mich nur eines: Habe ich den Menschen, die ich liebe, oft genug gesagt, was sie mir bedeuten? Habe ich meiner Frau jeden Tag gezeigt, wie glücklich sie mich macht? Mir behagt der Gedanke absolut nicht, dass ich es vielleicht nicht geschafft habe, sie all das spüren zu lassen. Wenn wir gemeinsam auf der Couch sitzen und einen Film gucken, dann schaue ich oft zu ihr rüber. Ich sehe sie schmunzeln, wenn es eine schöne Szene auf dem Bildschirm zu sehen gibt. Es sind unter vielen anderen auch solche Momente, in denen ich mich ihr so nah fühle. Meine Zeit, die ich auf dieser Welt habe, möchte ich jederzeit bewusst nutzen, um ihr diese Nähe auch zu zeigen. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich nicht mehr da wäre und sie die Tiefe meiner Gefühle nicht gespürt hätte.
Ich nutze jede Gelegenheit
Ich verschwende keine Zeit darauf, mich über Menschen oder Dinge zu ärgern, die es nicht mal im Ansatz wert sind. Sie ist einfach zu kostbar. Stattdessen werde ich jede Möglichkeit nutzen, um meiner Frau und allen, die ich aus tiefstem Herzen liebe, genau das zu sagen und vor allem zu zeigen. Denn wenn die Zeit rum ist, ist sie rum. Eine weitere Chance dazu habe ich dann nicht. Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich nicht jede Gelegenheit dafür zu nutzen würde, meine Lieben spüren zu lassen, wie bedeutsam sie für mich sind. Auch aus meinem Leben sind schon Menschen gegangen, bei denen ich die Chance verpasst habe, es ihnen so oft zu sagen und zu zeigen, wie ich kann. Das lässt sich nicht mehr nachholen. Deshalb habe ich es mir selbst geschworen, so etwas nicht mehr zuzulassen. Damit ich mir nicht sagen muss "zu spät". Was ist mit dir? Hast du jemanden, dem deine Liebe gehört? Dann nimm ihn nicht als selbstverständlich hin, sondern zeig diesem Menschen, wie bedeutsam er für dich ist. Sag es ihm. Gib ihm das Gefühl, dein Ein und Alles zu sein. Verplempere deine Zeit nicht damit, Streit, Neid und negativen Gefühlen Raum zu geben. Besinn dich darauf, wie wertvoll deine Lieben sind. Schätze sie, liebe sie und sag es ihnen auch, wann immer du kannst. Damit es dafür nicht irgendwann zu spät ist.
Fröhlichst
dein André








Kommentare