Ist es das wert?
- André Maaß

- 28. Nov. 2021
- 4 Min. Lesezeit

Wer kennt sie nicht, diese klitzekleinen Dinge, die uns im normalen Alltag einfach mal kurz explodieren lassen? Dabei sind es in den meisten Fällen wirkliche Nichtigkeiten, wegen denen man aus der Haut fährt. Nicht nur, dass man mit Stress reagiert und den Körper komplett in Aufruhr versetzt. Man versaut sich vor allem echt den ganzen Tag, wo es doch eigentlich hätte gemütlich und schön sein können. Hinterher, wenn man in Ruhe darüber nachdenkt, stellt man in der Regel fest, dass es völlig unverhältnismäßig war, sich so sehr darüber aufzuregen. Den beruflichen Bereich betrifft das ebenso, wie den privaten.
Ein kleiner Funke reicht für einen Flächenbrand
Dabei sind es in den meisten Fällen nicht die großen und schweren Themen, über die sich Mensch aufregt. Klar, die Leute geraten ein bisschen in Wallung, wenn es um Belange der Klimaveränderung oder um einen nervigen Virus geht. Da prallen Meinungen aufeinander und Fakten werden nicht selten zur Ansichtssache. Aber all das gerät in den Hintergrund, wenn beispielsweise der Nachbar sein Auto auf dem Gemeinschaftsparkplatz nicht exakt in die Parklücke gefädelt hat. Sowas geht dann so weit, dass sich die Leute vor Gericht schleifen oder sogar handgreiflich werden. Ist noch gar nicht so lange her, da habe ich gelesen, dass es in Deutschland pro Jahr gute 300.000 Nachbarschaftsstreitfälle an deutschen Gerichten gibt. Ohne sie alle zu kennen, bin ich mir sicher, dass es da gern mal um Äste geht, die herüber ragen oder einen Zaun, der nicht in der richtigen Farbe gestrichen ist. Ein anderes Beispiel ist der Straßenverkehr. Da reicht es ja schon, wenn jemand an der Ampel nicht zügig genug losfährt, um den Hintermann schon bis aufs Blut zu reizen. Nicht selten kommt es danach zu tätlichen Angriffen. Selbst im Beziehungsleben sind es oft Kleinigkeiten, die zu den größten Streitigkeiten führen. Die Gründe sind bunt gewürfelt. Jedem von uns bekannte Klassiker, wie die "falsch" ausgedrückte Zahnpastatube oder das "nicht korrekt" aufgehängte Toilettenpapier sind da mit von der Partie.
Kleinigkeiten sind ein Ventil
Aus den verschiedensten Gründen ist Druck auf dem Kessel. An irgendeinem Punkt muss der entweichen und da kommen dann die Kleinigkeiten ins Spiel. Nun entlädt sich das ganze Gewitter, das sich aus verschiedensten Himmelsrichtungen über die letzte Zeit zusammengebraut hat. Der kleine Funke löst eine Detonation aus, die dem Anlass gar nicht angemessen ist. Der ist letztlich auch nur ein klitzekleiner Bestandteil des Ganzen. Was sich jetzt explosionsartig verteilt sind Ängste, Sorgen und Probleme, die sich über eine längere Zeit angestaut haben. Der Kochlöffel, der an die falsche Stelle gelegt wurde, hat diesen Ausbruch gerade nur ausgelöst. Er ist das Ventil, über das der riesige Druck entweicht. Gerade weil jetzt eine Menge Emotionen drinstecken, wird ein Streit umso heftiger. Denn der wird jetzt nicht mehr sachlich, sondern gefühlsbetont ausgetragen. In solchen Situationen nützen dann auch sämtliche Konfliktlösungsfähigkeiten nichts mehr. Warum? Weil man selbst emotional drin steckt. Betrachtet man das von außen, könnte man immer mit Lösungsvorschlägen kommen und sieht die Sache klar. Ist man selbst drin, sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Sich selbst zurückpfeifen
Am Ende geht es oft nur noch um die Frage, wer recht hat. Das klingt vielleicht banal, ist bei Menschen aber eine große Triebfeder und davon kann sich niemand freisprechen. Aber ist es wirklich wichtig, recht zu haben? Wäre es nicht viel sinnvoller, sich genau an dem Punkt zurückzupfeifen und einmal kurz durchzuatmen? Wenn eine solche Situation entsteht, sind immer mindestens zwei Leute beteiligt und beide haben gleichermaßen Anteil daran. Wenn man sich nun darauf konzentriert, die Schuld beim anderen zu suchen, verhärtet die gesamte Situation. Bleibt man aber bei sich und schaut nach seinem Anteil daran, entspannt es sich und das Gespräch ist offen. Und zur Erinnerung: Es geht immer noch nur um eine Kleinigkeit. Ich will gar kein Geheimnis daraus machen, dass es einige Übung erfordert, sich in solchen Momenten souverän und abgeklärt zu verhalten. Wenn ich mich mit dem André vor meiner Burn-out-Zeit vergleiche, dann habe ich mich da schon erheblich weiterentwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass ich virtuos und vollkommen sicher jede Situation im Griff habe. Das kann auch nicht gehen, denn wie oben schon geschrieben, bin ich emotional eingebunden. Was mir im Vergleich zu damals immer besser gelingt, ist mich zurückzupfeifen und auf mich zu schauen. Es bleibt aber ein großer Wachstumsmarkt für mich und da ist noch eine Menge Luft nach oben. Jede Szene, in der es mir wieder nicht gelingt, mich auf mich zu besinnen und meinen Anteil zu suchen, hat dennoch etwas Gutes. Denn aus ihr kann ich wieder lernen und damit entwickle ich mich weiter.
Der Burn-out hat mir etwas klargemacht
Diese Entwicklung ist mir wichtig und notwendig, egal wie kleinschrittig sie ist. Denn durch meine Zeit im Burn-out ist mir eines sehr bewusst geworden: Ich habe einfach keine Zeit dafür, mich über Kleinigkeiten aufzuregen oder darüber zu streiten. Wenn ich diese Welt eines Tages mal verlassen muss, dann werde ich mich sicher nicht an die Momente erinnern, in denen ich recht hatte. Es kommt im Leben nicht darauf an. Wichtig ist es, schöne Lebensmomente zu sammeln und sagen zu können, dass man glücklich und gut gelaunt ist. Meine Lebenszeit ist begrenzt. Will ich sie damit verbringen zu streiten und zu spalten, nur um sagen zu können, dass ich recht hatte? Nur um das Gefühl zu haben, der Gewinner in einem Disput zu sein? Davon bleibt am Ende nichts übrig. Wenn sich Menschen in dieser Jahreszeit, in der es auf Weihnachten zugeht, darüber beschweren, dass sie einsam sind, sollten sie vielleicht einmal darüber nachdenken, was ihr Anteil daran ist. Will man etwas mit Rechthabern und Streithammeln zu tun haben? In den letzten 9 Jahren habe ich sehr intensiv an mir gearbeitet, mich von dieser negativen Denke zu verabschieden. Ich will mehr schönes in meinem Leben haben, tolle Lebensmomente sammeln und mit den Menschen zusammen sein, die ich liebe. Allein darauf kommt es an und nicht, ob ich recht hatte. Und schon gar nicht lasse ich es zu, dass die kleinen Ärgernisse des Alltags über mich herrschen und mich bestimmen. Denn sie rauben mir wertvolle Lebenszeit, die ich nie wiederbekomme.
Liebe Adventsgrüße
dein André








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