Gesichtsfasching
- André Maaß

- 12. Sept. 2021
- 4 Min. Lesezeit

Karneval, Fasching, Faslam - je nachdem wo man wohnt, kommt irgendwann diese bestimmte Jahreszeit, in der sich alles um Verkleidung und vor allem Feiern dreht. Von wenigen kleinen Ortschaften abgesehen, schüttelt der Norddeutsche darüber eher den Kopf und wundert sich, warum er an diesen besonderen Tagen den Kunden oder die Firma in Köln und all den anderen Orten nicht erreichen kann. Bunter Spaß und gute Laune sind angesagt. Und das in Deutschland. Da wundert sich auch so manches Nachbarland, zu welch ekstatischer Fröhlichkeit der Durchschnittsdeutsche imstande ist. Die Vielfalt der Kostüme, Verkleidungen und Masken kennt keine Grenzen und je schriller, desto besser. Aber wie alles Schöne geht auch das einmal vorbei und die Normalität hält zumindest bis zur nächsten 5. Jahreszeit wieder Einzug.
Alltagsmaskerade
Viele können sich aber scheinbar gar nicht mehr von den Gesichtsverkleidungen trennen. Im Alltag setzen sie außerhalb der "tollen Tage" weiterhin eine Maske auf. Die sind zwar nicht bunt und lustig, wie bei den Festen, aber sie tun das, was sie tun sollen: die Wahrheit verbergen. Die einen verstecken ihr eigentliches Gesicht hinter Massen von Schminke und Make-up, andere bauen ein Bild von sich, das jemanden darstellt, der sie nicht sind. Sie lächeln da, wo ihnen eigentlich nach weinen zumute ist. Der Welt wird gezeigt, dass sie auf der Sonnenseite des Glücks stehen, dabei liegt schon seit Jahren ein Schatten der Verzweiflung auf ihnen. Das alles hat System, denn wer eine Schwäche zeigt, der ist raus. Wer durchblicken lässt, dass sein Leben eben nicht nur nach Himbeere riechender, rosa-glitzernder Einhornfurz ist, hat gesellschaftlich verloren. Also wird eine Verkleidung angelegt und eine Maske aufgesetzt, damit der Pöbel um sie herum nicht bemerkt, wie dreckig es ihnen eigentlich geht. Egal ob finanziell, körperlich oder seelisch.
Ich hab's nicht mal gemerkt
Meine Maske habe ich mir tatsächlich bereits in früher Kindheit aufgesetzt. Meine Großeltern und mein Vater haben mir auf sehr subtile Art und Weise gezeigt, wie ich mich verhalten muss, damit ich ihren Vorstellungen entsprach. Ebenso haben sie es mich spüren lassen, wenn mein Verhalten ihre Missbilligung fand. Das Ganze steuerten sie über Zu- und Abneigung. So lernte ich schnell, mich so zu verhalten, dass man mich mag und akzeptiert. Als Kind ist man ja überaus lernfähig, also saß meine Maske bald wie angegossen. Als Erwachsener habe ich dann nicht einmal mehr bemerkt, dass ich eine trug. Für mich wurde es zu einer völlig normalen Sache, mich so zu verhalten, dass ich von anderen wohlwollend gesehen wurde. Ohne nachdenken zu müssen, rutschte ich praktisch reflexartig in entsprechenden Situationen sofort in die Anpassungsschiene. So zu sein, wie andere mich haben wollen, entspannt das tägliche Leben natürlich extrem. Man eckt mit kaum jemandem an und wenn doch, passt man sich schnell an, sodass die Reibung verschwindet. Verblüffend einfaches Prinzip mit einer irren Erfolgsquote.
Das riecht nach Hochverrat
Bei der ganzen Nummer ist nur einer auf der Strecke geblieben: ich. Denn wann immer ich mich mental verkleidet habe, war das Hochverrat an mir selbst. Die Verleugnung all dessen, was mich als Mensch ausmacht, habe ich ziemlich exzessiv betrieben. Erst als ich mich in der Zeit meines Burn-outs intensiv mit mir selbst beschäftigte, ist mir das klar geworden. Ganz langsam aber sicher begann ich damit, die Maske abzuknibbeln. Als sie das erste Mal runter war, bemerkte ich erst, wie schwer ich darunter eigentlich Luft bekam. Ein Wunder, dass ich daran nicht erstickt bin. Gut, dass es zu dieser Lebenskrise gekommen ist, denn ohne sie hätte ich den Verrat an mir weitergeführt und mich selbst verscheißert. Nur um zu sein, wie andere mich haben wollten. Komisch, dass beim Menschen immer erst einmal etwas kolossal an die Wand fahren muss, damit man sich ändert. Aber ohne Not passiert eben nichts.
Zum ersten Mal finde ich mich richtig gut
Nun haben wir 2021 und der Anfang meines großen Umbruchs ist gute 9 Jahre her. Heute ist praktisch alles anders an und in mir. Meine komplette Einstellung mir selbst und anderen gegenüber hat sich um 180 Grad gedreht. Als ich mich damals auf den Weg machte, um wieder Glück und gute Laune in mein Leben zu ziehen, war einer der wichtigsten Punkte, mich selbst erst einmal richtig gut zu finden - und zwar genauso wie ich bin. Da mag jetzt manch einer den Kopf schütteln, weil es doch eigentlich selbstverständlich sein sollte, sich selbst zu mögen. Das Leben ist jedoch kein Konjunktiv. Auch wenn es so sein sollte, ist es das für mich die meiste Zeit nicht gewesen. Wie bei so vielem, ist es auch hier wieder nur ein Wechsel des Blickwinkels, der dafür sorgt, dass ich den Selbstwert und damit auch die Selbstliebe in mir sehe. Mich so, wie ich bin, nicht nur zu akzeptieren, sondern wertzuschätzen und zu lieben, war eine der größten Erfahrungen, die ich in den vergangenen Jahren machen durfte. Nicht auszuschließen, dass einige das belächeln werden. Aber gerade darunter sind nicht wenige, denen es so geht, wie mir damals. Sie verbergen Probleme, Leid und Unsicherheit lediglich hinter ihrer Maske. Damit ihnen keiner auf die Schliche kommt.
Und ab und zu ein Lichtblick
Umso toller ist es, wenn mir dann ganz gelegentlich mal jemand begegnet, der wirklich und aus tiefstem Herzen zu sich steht. Diese Menschen ruhen in sich und sind gefestigt, egal was für Stürme ihnen entgegenwehen. Sie sind ohne Masken und müssen nichts mehr beweisen oder mit irgendetwas blenden, um akzeptiert zu sein. Sie gehen ihren Weg. Der verläuft nicht immer geradeaus, aber dafür sind sie in der Lage, jeden Schritt auf ihm zu genießen, weil er nicht von anderen bestimmt wird. Treffe ich solche Leute, dann kommt in mir auch immer ein Glücksgefühl auf, weil ich mich wiedererkenne. Mir wird bewusst, dass ich mich wirklich sehr verändert habe. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Fröhlichst
Dein André








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