Einfach mal aufgeben
- André Maaß
- 2. Jan. 2022
- 6 Min. Lesezeit

Willkommen in 2022. Zeit für neue Ziele, Visionen und Veränderung. Nie im Jahr ist die Energie dafür so hoch wie gerade jetzt. Der eine beschließt eine Diät. Er beginnt dafür ein neues Tagebuch, in dem er fein säuberlich notiert, was er gegessen hat, um daraus mehr Bewusstsein für seine Ernährung zu bekommen. Mit dem Schlachtruf "Das wird jetzt anders" zieht er in den Krieg gegen seine Pfunde. Ähm, nur nicht morgen, denn da hat Tante Liesbeth Geburtstag und lädt zu Kaffee und Kuchen ein. Am nächsten Sonntag aber auch nicht, da geht es mit dem Kegelclub zum legendären Januar-Brunch. Inzwischen macht es sowieso keinen Spaß mehr, das Büchlein zu führen. Die Schrift ist mittlerweile krakeliger geworden und die Aufzeichnungen enden bereits auf Seite 5 abrupt. Es gibt diejenigen, die zum Jahreswechsel beschlossen haben, mehr Sport zu machen. Man meldet sich direkt zum Fitness-Center an, führt ein ausgiebiges Vorgespräch mit dem Coach, bekommt seinen Ernährungsplan und geht das Projekt voller Enthusiasmus an. Die Mitgliedskarte kommt ganz vorn ins Portemonnaie, weil man sie ja nun mindestens viermal die Woche braucht. Nach wenigen Tagen ist sie in der Geldbörse bereits auf einen der hinteren Steckplätze gerutscht, bis sie dann wieder völlig daraus verbannt wird, weil man den Platz für irgendeine neue Bonuskarte braucht.
Warum machen Menschen das?
So läuft es beileibe nicht immer. Aber eben erschreckend oft. Was passiert da in den Leuten, die sich voller Energie und Leidenschaft auf den Weg machen und dann nach kurzer Zeit bereits wieder demotiviert rechts ran fahren? Ich habe da so meine Vermutungen. Vielfach bekomme ich mit, dass sie es einfach nicht genug wollen. Der Leidensdruck einer Situation ist augenscheinlich nicht hoch genug, um einschneidende Veränderungen vorzunehmen. Weil es nämlich, und damit sind wir schon beim nächsten Punkt, etwas mit Anstrengung zu tun hat. Diese Veränderungen durchzuhalten und den angestrebten neuen Lebensstil zu erreichen, kostet Kraft und ist nicht selten mit Entbehrungen verbunden. Gerade in den hinter uns liegenden Weihnachtstagen haben wieder viele Zeit mit Menschen verbringen müssen, die sie um Grunde nicht ausstehen können. Sie haben es dennoch ausgehalten, weil es ja Weihnachten ist. Wenn ich nun will, dass sich an der Situation etwas ändert, dann muss ich einen sehr unangenehmen, unbequemen und harten Weg beschreiten: nämlich diese Menschen aus meinem Umfeld zu entfernen. Da diese Anstrengung, sei sie nervlich oder sogar körperlich, als zu groß empfunden wird, bleibt alles beim Alten. Stattdessen bejammern sie sich, wie schwer sie es doch haben, wie ungerecht das alles ist und dass man daran ja nichts ändern kann. Irrtum. Sie wollen es nicht ändern. Es braucht keinen Rocky-Film, um festzustellen, dass man ohne Schmerzen, Belastung und Herausforderungen keinen Meistergürtel gewinnt.
"Ja bei dir ist das alles ganz einfach"
Veränderung braucht Mut, Stärke, Durchhaltevermögen und mentale Widerstandskraft. Sie sind wie Muskeln, die man trainieren kann, wenn sie noch nicht ausreichend vorhanden sind. Zu Zeiten meines Burn-outs waren sie bei mir hoffnungslos unterentwickelt. Alles, was ich als Umbruch hinter mir habe, um aus meiner Krise herauszukommen, begann mit einem zögerlichen und ängstlichen Schritt. Die Zahl der Rückschläge kann ich heute nicht mehr zählen. Ich habe mental so oft mit der Nase im Dreck gelegen. Dann wieder aufzustehen und den Weg weiterzugehen, war anfänglich fast nicht zu schaffen. Die meisten, die mich kennen, können sich an den André von damals gar nicht mehr erinnern. Wenn ich heute über Veränderungen spreche, dann höre ich häufig: "Bei dir ist das ja auch alles ganz einfach. Bei mir ist das was völlig anderes. Mir fällt das alles nicht so leicht." Nichts von dem, wie es mir heute geht, ist zufällig passiert oder mir einfach zugefallen. Ich habe dafür gearbeitet, gekämpft und gelitten. Stehe ich heute strahlend vor dir, siehst du all das nicht. Ich habe damals mir eng vertraute Menschen aus meinem Leben geschmissen, damit ich meinen Tiefpunkt verlassen, mein Glück und meine gute Laune wiederfinden kann. Nichts davon war einfach oder ist mir vor die Füße geplumpst. Heute kannst du mir nicht ansehen, dass es mich zu der Zeit Kraft und Tränen gekostet hat, beispielsweise meinen eigenen Vater aus meinem Leben gehen zu lassen. Ein harter aber notwendiger Schritt, um wieder zu mir selbst zu finden. Es wäre ein Leichtes gewesen, weiterhin auszuhalten "um des lieben Friedens willen". Aber das wäre nur auf meine Kosten gegangen und unter anderem diese Einstellung hat mich überhaupt erst in den Burn-out geführt.
Manchmal ist aufgeben notwendig und gut
Aufgeben ist nicht per se negativ. Wie so oft ist es eine Frage des Blickwinkels. Wenn ich das Fitness-Center nach ein paar Tagen wieder links liegen lasse, darf ich mich auch nicht über die saftigen Hüften beschweren. Es verändert sich nichts, wenn ich hier aufgebe. Möchte ich, dass mein Leben frei von Spacken und schlechten Menschen ist, dann muss ich damit anfangen mein Umfeld aufzuräumen und es vor allem durchziehen. Gebe ich hier auf, weil ich die Konfrontation scheue, verliere ich auch das Recht zu jammern. Aufgeben ist dann gut, wenn ich meine Sichtweise verändere. Dann gebe ich nicht mehr meine Ziele oder gar mich auf. Bleiben wir einmal beim Umfeld. Da gab es in meinem Leben einige, die mir nicht gutgetan haben. Hier hieß es "aufgeben" - und zwar genau diese Menschen. Ich habe sie ziehen lassen. Mein Ziel war, dass es mir besser gehen soll. Also durfte ich keine Zeit mehr mit einer bestimmten Gruppe von Leuten verbringen. Ich musste sie aufgeben. Anfänglich habe ich immer mal wieder mein Ziel aufgegeben, weil es heftig hart war, ihnen klarzumachen, dass mein Lebenszug nun ohne sie weiterfährt. Ich ging wieder in den lebenslang bekannten "aushalten"-Modus und vermied es, den schweren Weg zu gehen. Zum Glück besann ich mich dann eines Besseren und probierte es wieder. Es war dann nicht weniger hart, aber diesmal zog ich es durch. Ich gab nicht mein Ziel auf, sondern diese Menschen. So bitter, wie die Leere danach war, so befreiend war es nach kurzer Zeit auch. Ich hatte wieder Luft zum Atmen. Mit jedem Tag merkte ich, dass sich jeder Schritt auf diesem knallharten Weg gelohnt hat, denn es ging mir besser und besser. Um einige habe ich auch gekämpft. Bei manchen war es erfolgreich, bei anderen wieder aussichtslos. Dann habe ich auch sie aufgegeben. Ich bin mir sehr sicher, dass auch ich von anderen aufgegeben wurde. Das ist völlig ok, denn auch sie haben dann festgestellt, dass ich nicht zu ihnen passe und sie ohne mich besser dran sind. Das ist ehrlicher und mir allemal lieber, als dass ich selbst nur ausgehalten werde. Leicht ist es weder in die eine noch in die andere Richtung.
Am Ende liegt es nur an dir
Wie in so vielen Bereichen des Lebens, liegt es einzig und allein an uns selbst, wie wir die Sache hinbekommen. Klar, ich kann mir von allen Seiten gut gemeinte Ratschläge holen. Aber das sind auch Schläge und ich darf mich nicht wundern, wenn ich in der zweiten Runde bereits K.O. gehe. Wenn jemand nicht in meiner Situation war, kann er mir mit angelesenem Wissen auch nicht weiterhelfen. Wenn ich merke, dass mir Menschen nicht guttun, dann muss ich handeln. Alles andere führt zu nichts. Es ist natürlich einfacher, ständig Spaziergänge durchs idyllische Jammertal zu machen, mich auf eine Parkbank zu setzen und mich hingebungsvoll zu beweinen. Aber dadurch ändert sich absolut nichts. Mir geht ein Mensch in meinem Umfeld auf die Ketten und er raubt mir Lebensenergie? Dann ist es Zeit ihn aufzugeben. Je schneller ich mich zu diesem Schritt entschließe und ihn durchziehe, desto rasanter stellt sich eine Besserung ein. Bin ich einsam und habe niemanden zum Reden? Dann muss ich meine Hütte auf dieser Insel der Einsamkeit abfackeln. Ich muss mich auf den Weg machen, um andere Leute zu finden und nicht darauf warten, dass ich gefunden werde. Es liegt allein in meiner Verantwortung. Möchte ich in meinem mentalen Kinosessel sitzen und anderen beim Leben zugucken oder nehme ich selbst das Heft in die Hand? Meine Wahl stand damals fest und tut das auch heute noch. Ich habe ein bedingungsloses Ja für Menschen, die mir guttun. Und ich gebe diejenigen auf, die mir Liebe, Glück und gute Laune rauben. Es ist mein Leben und ich habe nur dieses eine.
Fröhlichst im neuen Jahr
Dein André
P.S.: Mehr dazu findest du auch in meinem Buch "Warum bist du eigentlich so gut drauf?"
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