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Dieser verdammte Alkohol

  • Autorenbild: André Maaß
    André Maaß
  • 23. März 2022
  • 7 Min. Lesezeit


"So, gleich ist es so weit und die ersten Leute kommen. Hoffentlich wird das ein guter Abend. Vor allem hoffe ich, dass es allen gefällt, was ich da organisiert habe. Getränke zum Vorglühen sind schon mal genug da." Es ist Samstagabend vor gut 16 Jahren. Ein bisschen nervös gehe ich in meiner Wohnung auf und ab während ich aufs Klingeln an der Tür warte. Der Abend steht unter dem Motto "Spaß-Nacht". So habe ich es in der Einladung genannt. Viele aus dem Freundeskreis haben zugesagt. Der Abend sieht vor, dass wir in meiner Wohnung vorglühen und danach mit Taxis nach Hamburg auf den Kiez fahren. Dort geht es in eine Musikkneipe, ein bisschen feiern. Der Hauptteil des Abends ist dann eine Late-Night-Show im Schmidt´s Tivoli. So habe ich es organisiert. Nun bin ich aufgeregt, ob alles so klappt, wie ich es mir vorstelle. Ding Dong. Da sind die ersten Leute. Es geht los. Nach kurzer Zeit sind alle da und die ersten Biere sind geöffnet. Dazu gibt es Kurze in verschiedenen Varianten. Friesengeist, "Schwatten" (Wodka, in dem Türkisch Pfeffer aufgelöst wurde), Jägermeister und "Saure". Vermutlich ist es meine Aufregung, die dafür sorgt, dass ich alles davon zusammen mit Bier trinke. Dann geht es irgendwann los, die Taxis sind da. Ab geht es nach Hamburg. Auf dem Kiez angekommen, gehen wir direkt in die angepeilte Musikkneipe. Kaum, dass wir drinnen sind, steht die erste Runde Biere auf dem Tisch. Der DJ spielt gute tanzbare Mucke und die Stimmung im Laden und unter uns ist klasse. In den kommenden zwei Stunden wechseln sich Biere mit der Tanzfläche ab.


Netter Seegang draußen


Gegen Mitternacht brechen wir aus der Kneipe auf und gehen ein paar Häuser weiter ins Schmidt´s, wo die Comedy-Late-Night auf uns wartet. Als ich aus dem kleinen Tanzschuppen auf die Straße trete, bemerke ich, dass die Reeperbahn einen beträchtlichen Seegang hat. Ich vermisse schmerzlich ein paar Haltegriffe. Zumindest kann ich durch Festhalten an einem Kumpel meinen Gang etwas stabilisieren. Im Theater angekommen, wird auch schon die Getränkebestellung aufgenommen. Da muss natürlich erst einmal ein Bier her. Soll ja schließlich auch lustig werden. Mittlerweile fällt mir auf, dass ich gelegentlich schiele und der bisher zu mir genommene Alkohol zeigt jetzt deutliche Wirkung. Ich sitze da im Theater auf meinem Platz und alles dreht sich um mich herum. Das Licht wird dunkel, die Show beginnt. Der Comedian kommt auf die Bühne und macht gleich eine Bombenstimmung. Die ganzen Gläser Bier, die ich mir einverleibt habe, rotten sich zusammen und verlangen, rausgelassen zu werden. Ach was, ich kann noch aushalten. Denkste. Der biologische Drang wird übermächtig. Ich verspüre den dringenden Wunsch, auf die Toilette zu gehen. Dann halte ich es nicht mehr aus. Ich erhebe mich umständlich von meinem Platz und suche im Stehen das kleine beleuchtete Schild, dass mir den Weg zum Örtchen weist. Das war doch vorhin noch da. Ich drehe mich um meine eigene Achse und lasse mein Zielauge durch den Saal zoomen. Mit beiden Augen geht es nicht, weil ich dann immer wieder schiele. Da ist ja das Schild. Mich starren schon die Leute um uns herum an. Vermutlich fragen sie sich, warum ich da so rumstehe und ihnen die Sicht nehme. Das Toilettenschild fest anvisiert, setze ich mich in Bewegung.


Ich bemerke nicht mal, wie ich verarscht werde


Wankend versuche ich, mir den Weg zwischen den recht eng stehenden Tischen zu bahnen. Der Seegang, der draußen auf der Straße schon ganz ordentlich war, hat inzwischen stattlich zugenommen. Dummerweise führt mich mein Weg zur Erlösung direkt an der kompletten Bühne vorbei. Mehrmals touchiere ich den Rand des Showpodestes, was den Comedian oben auf mich aufmerksam macht. Was er zu mir sagt, weiß ich nicht mehr, da ich mittlerweile alles nur noch durch einen Nebel wahrnehme. Ich bekomme aber mit, dass der gesamte Saal lacht. Ich halte derweil weiter auf mein Ziel zu und lasse mich auch durch das wiederholte Gelächter nicht davon abbringen. Endlich geschafft. Die Stimmen aus dem Saal werden leiser. Die Tür fällt hinter mir zu und ich habe es in eine der Boxen geschafft. Ich lasse mich auf den Sitz plumpsen und atme erst einmal durch. Keine Ahnung, wie lange ich da bin. Irgendwann werde ich aber durch einen Freund geweckt, da bei der Show gerade Pause ist. Er holt mich wieder zurück zu den anderen, was ich nur ganz entfernt wahrnehme. Ich bekomme noch mit, wie ich zu einem Taxi geführt werde und es dann nach Hause geht. Der Rest ist weg. Am nächsten Tag wache ich früh morgens gegen 15.30 Uhr auf. Um zu beschreiben, wie es mir geht, müssen erst noch Worte erfunden werden. Mindestens genauso schwer wiegt die Peinlichkeit, die ich verspüre, als mir von dem gesamten Abend erzählt wird.


Der Alkohol war allgegenwärtig


Selbst heute ist es mir noch unangenehm, an diesen Abend zu denken. Ich frage mich noch immer, welcher Satan mich geritten hat, mich so aufzuführen und den Alkohol so dermaßen in mich hineinzuschütten. Das war alles andere als gesund. Damals empfand ich das aber nicht als ungewöhnlich. Saufen gehörte nun einmal dazu, wenn es auf Party ging. Klar, das war nicht an jedem Wochenende so. Aber wenn es was zu feiern gab, dann trat ich das Gaspedal auch bis zum Boden durch. Woher kam das bloß, dass der Alkohol eine so große Rolle bei mir spielte? Heute kann ich mir diese Frage sehr leicht beantworten. Ich habe es durch meinen Vater erlebt. Durch ihn war das höllische Zeug in meinem Leben allgegenwärtig. Er gehörte nicht zu den auffälligen Menschen. Er trank eher so nebenbei. Beim Renovieren, beim Heimwerken, bei der Gartenarbeit, jedes Mal war der Alkohol mit von der Partie. Wenn er morgens aus dem Schichtdienst nach Hause kam, saß er nicht selten bereits um 6 Uhr mit einem Bier auf dem Sofa. Klar, aus seiner Sicht war es sein Feierabendbier. Dennoch kann es für einen Körper, der eh schon durch Schichtdienst gebeutelt ist, absolut nicht gesund sein. Er meinte immer, er brauche das, um abzuschalten und danach besser in den Schlaf zu kommen. Wie negativ sich Hochprozentiges auf den Schlaf und letztlich auf die Gesundheit auswirkt, ist hinlänglich wissenschaftlich untersucht. Letztlich trank mein Vater viel. Auf diese Weise habe ich mit dem Alkohol schon früh Berührungspunkte gehabt. Wenn auch nur als Kind, das seinen Vater häufig betrunken erlebt. Ich glaube nicht, dass ihm bewusst war, was das mit mir gemacht hat, wenn ich ihn so sehen musste. Das Zeug hat ihn zerstört. Nicht nur gesundheitlich, sondern auch seelisch. Er war nicht stark genug, dieser Versuchung zu widerstehen. Für ihn war es die Flucht vor Sorgen, Nöten und Ängsten. Leider war er davon auch nicht wegzubringen. Dafür war die Abhängigkeit einfach zu groß.


Der Abend in Hamburg war mir eine Lehre


Irgendwann hatte ich mich von diesem katastrophalen Abend in Hamburg wieder erholt. Lange dachte ich darüber noch nach. Was von der sogenannten "Spaß-Nacht" bei mir zurückblieb, war alles andere als spaßig. Ich kam mir absolut erbärmlich vor. Immer wieder fragte ich mich, wie ich es so weit habe kommen lassen. Am Ende stand ein Entschluss fest. Das mit dem Alkohol sollte ab sofort vorbei sein. Ich wollte das nicht mehr. So wie damals in Hamburg, wollte ich mich nie wieder fühlen. Mir war die Achtung vor mir selbst komplett abhandengekommen. Es gab danach zwar noch die ein oder andere Feier, auf der ich dann doch noch mal etwas getrunken habe, aber dieses exzessive Level habe ich nicht mehr erreicht. Es dauert am Ende auch nicht lange, bis ich den Alkohol dann komplett aus meine Leben verbannte. Das ist etwas, was mich zutiefst glücklich und stolz macht. Die Widerstandskraft, die mein Vater nicht aufbringen konnte, habe ich letztlich entwickelt. Ich bin diesem Zeug nicht mehr wehrlos ausgeliefert, wie viele andere. Später kam noch ein weiterer Gedanke hinzu. Ich war fest entschlossen, dass mich meine Kinder niemals betrunken erleben sollen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie grausam das für ein Kind ist. Wenn du, liebe Leserin, lieber Leser, selbst Vater oder Mutter bist, dann denk beim nächsten Mal darüber nach, was in deinem Kind wohl vorgeht, wenn es dich im betrunkenen Zustand sehen würde. Vielleicht musstest du ja selbst erleben, wie jemand von deinen Eltern betrunken ist. Ich fand das damals unheimlich und beängstigend, dass aus einem geliebten Menschen plötzlich jemand völlig fremdes geworden ist.


Mir wäre beinahe das Gleiche passiert


Ich war schon auf dem besten Wege dahin, ein ernsthaftes Alkoholproblem zu bekommen. Heute trage ich eine große Dankbarkeit in mir, dass ich mir selbst dieses Schicksal erspart habe. Es ist mir gelungen, mich von diesem Gift loszusagen und seinen Verlockungen nicht mehr zu erliegen. Das gelingt vielen nicht und das tut mir von Herzen leid. In meinen vielen Jahren, die ich als DJ unterwegs war, hatte ich ständig mit Betrunkenen zu tun. Die meisten von ihnen waren friedlich. Doch gab es immer wieder welche dazwischen, die durch den Alkohol unter hoffnungsloser Selbstüberschätzung litten. Sie wollten dann sogar aggressiv und drohend werden, wenn ich nicht sofort ihre Wunschmusik gespielt habe. Damals habe ich mich über solche Leute geärgert. Heute empfinde ich großes Bedauern für sie. Gelegentlich sehe ich einen von diesen Menschen mal wieder und erschrecke mich oft, wie sie mittlerweile aussehen. Der Alkohol hat sie gezeichnet. Ich bin froh und erleichtert, dass ich nun schon seit so vielen Jahren nichts mehr mit diesem Zeug zu tun habe und ich habe kein Verlangen, das jemals wieder zu ändern. Mein ewig warnendes Beispiel ist mein eigener Vater.


Wenn du dir das nächste Mal ein Glas einschenken willst, denk vielleicht einen Augenblick darüber nach, warum du das gerade machen möchtest. Ist es der Geschmack? Wohl kaum. Sind es Probleme und Sorgen, die du vertreiben willst? Die kommen wieder, und zwar mit Verstärkung. Ist es wegen der Geselligkeit? Wenn die Party nur mir Alkohol toll ist, dann ist es eine Scheißparty. Du willst nicht abseitsstehen und in einer Gruppe der Loser sein? Frag dich mal, wer hier der Loser ist und vor allem, ob diese Menschen wirklich deine Freunde sind. Du trinkst, weil du einsam bist? Mit Alkoholfahne bist du auch nicht interessanter für andere. Egal, welchen Grund du findest, um zu trinken. Es gibt wesentlich bessere Gründe es nicht zu tun.


Fröhlichst

dein André

 
 
 

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