Der erste Burn-out ist eine Katastrophe, der zweite eine Entscheidung
- André Maaß
- 6. Feb. 2022
- 5 Min. Lesezeit

Es ist Oktober 2012 und ich sitze in einem kleinen Bistro direkt an den Landungsbrücken des Hamburger Hafens. Meine Blicke gehen auf das Wasser. Draußen ist es grau und ein bisschen nieselig. Kaum jemand ist unterwegs, obwohl es mitten am Vormittag ist. Vor mir habe ich einen Block, auf dem steht aber nichts. Ich halte mich an meinem Kaffeebecher fest und hänge meinen Gedanken nach. Normalerweise wäre ich um diese Zeit bei der Arbeit. Momentan ist jedoch nichts normal. Warum? Ich habe einen Burn-out. Heute kann ich das locker flockig aussprechen. Es mir aber damals einzugestehen, war eine riesige Hürde. Gehört hatte ich davon schon. Wie die meisten, war ich jedoch der Meinung, dass ich unkaputtbar bin. Mir könnte sowas niemals passieren, dafür war ich doch viel zu gefestigt. Einen Scheiß war ich. Tja nun sitz ich da, schaue auf das Wasser und suche mich. So eine Geschichte kommt nicht mal eben über Nacht wie eine Erkältung. Es hat sich über Jahre aufgebaut. Was ich jetzt erlebe, ist lediglich die Spitze des Berges. Es ging einfach nicht mehr.
Plötzlich war da dieser Albtraum
Mein Blatt vor mir ist immer noch leer. Dafür sind meine Gedanken umso aktiver. Dass mit mir etwas nicht stimmte, hatte ich ja schon eine ganze Zeit früher bemerkt. Aber nicht etwa an einschneidenden Vorkommnissen, sondern eher an Kleinigkeiten. Ich erinnere mich, dass ich einmal an meinem Schreibtisch im Büro gesessen habe. Die Dinge, die ich zu tun hatte, waren sowas wie Routinesachen. Nichts Aufregendes, sondern Sachen, die ich schon zum x-ten Mal gemacht hatte. Allerdings wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich da tun musste. Ich klickte wild im Programm herum. Mir war jedoch nicht mehr klar, was ich da tat und vor allem, was nötig war, um die üblichen Arbeiten abzuschließen. Es fühlte sich ein bisschen an, als wenn ich all das zum ersten Mal sah und es mir von niemandem erklärt worden war. Nach einem Augenblick an der frischen Luft konnte ich mich dann wieder erinnern und beendete, was ich angefangen hatte. Der Sache maß ich aber keine große Bedeutung bei. Ich belächelte mich sogar selbst dafür. Dramatischer waren zu dem Zeitpunkt für mich schon die ständig wiederkehrenden Albträume. Genauer gesagt war es nur ein einziger Albtraum, der sich mit leichten Nuancen wiederholte. Davon wachte ich jedes Mal gerädert auf. Natürlich wirkten sich diese Träume stark auf meine seelische Verfassung aus, sodass sich meine Tage immer schwerer anfühlten.
Nach der mentalen Nulllinie ging es wieder langsam bergauf
Mit den Gedanken wieder zurück in dem Café an den Landungsbrücken haben sich inzwischen einige Seiten gefüllt. Ich gehe einen Bereich meines Lebens nach dem anderen durch und schreibe auf, in welcher Situation ich dort bin. Meine Notizen drehen sich um das, was gut ist und um die Dinge, die gerade eine Herausforderung darstellen. Die Familie, die Freunde, meine Arbeit, meine Gesundheit und mein innerstes Ich sind die großen Punkte, die ich vor mir in dem Block aufschreibe. Immer wieder fallen mir wild durcheinander Dinge ein, die ich darunter zu Papier bringe. Ich habe diese Gedanken bis heute aufgehoben und gerade vor Kurzem wieder darin gelesen. Heute bin ich mir darüber bewusst, dass das, was damals in dem kleinen Café im Hamburger Hafen entstanden ist, meine mentale Nulllinie war. Meine Notizen bildeten den ersten Strich auf der noch völlig leeren Wanderkarte meines neuen Weges. Ich wusste damals nicht, ob es mich tatsächlich wieder in mein Lebensglück führen würde. Mir war aber klar, dass es mich auf jeden Fall irgendwo hinbringen wird, wo ich vorher noch nicht gewesen bin. Diese Tatsache löste in mir eine starke Neugier aus. Was da wohl alles kommen wird?
Mein erster Burn-out war katastrophal
Auch wenn das heute, mit mehr als 9 Jahren Abstand, alles ganz locker und leicht klingt, kann ich dir sagen, dass es das absolut nicht war. Zwar stehe ich dazu, dass dieser erste Burn-out im Rückblick das Beste war, was mir passieren konnte. Dennoch soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass er zu den schlimmsten Phasen gehört, die ich jemals in meinem Leben durchgemacht habe. Gerüchten zu Folge soll ja im chinesischen Wort für "Problem" auch das Wort "Chance" drinstecken. Ob das so ist, weiß ich nicht und nach allem, was ich dazu gelesen habe, ist das wie immer eine Frage des Blickwinkels. Durch diese Krise ist damals aber eine große Zahl positiver Dinge in meinem Leben passiert. Teilweise habe ich sie selbst angeschoben, anderes ist durch wertvolle Menschen zu mir gekommen. Aus den Jahren, die nach dem Tiefpunkt kamen, habe ich viel für mich herausgeholt und eine Entwicklung hinter mir, die ich nicht für möglich gehalten habe. Alles hätte aber auch ganz anders verlaufen können. Wenn ich an irgendeinem Punkt nur dem falschen Menschen begegnet wäre, hätte sich alles vermutlich komplett anders entwickelt. Es fängt ja schon damit an, dass mir mein Arzt keine Medikamente verordnet hat. Stattdessen hat er mich davon überzeugt, dass es auch anders gehen kann und wir das erst einmal versuchen wollen. Wäre er damals nicht so vorgegangen, sondern hätte mir irgendwelche Tabletten gegeben, weiß ich nicht, ob ich heute wieder so in der Spur wäre. Er hat mich damals ernst genommen und nicht mit einem lapidaren "So ist das nun mal. Manchmal hat man eben schlechte Tage." nach Hause geschickt.
Der zweite Burn-out wäre eine Entscheidung
Heute, im noch jungen Jahr 2022, geht es mir so gut wie nie vorher. Im September ist der Siedepunkt meines Burn-outs dann 10 Jahre her. Die Wanderkarte, auf der ich meinen Weg nachgezeichnet habe, ist inzwischen bunt gefüllt. Sie zeigt Kreuzungen, Sackgassen, Einbahnstraßen, Umwege, Abkürzungen und Pfade, die mich im Kreis geführt haben. Aber egal wohin ich gekommen bin, habe ich jedes Mal etwas für mich mitnehmen können und lernen dürfen. Das ist das Großartige, wenn man sich an Orte begibt, an denen man noch nie vorher war. Dort findet das Leben statt. Wäre ich damals in meinem alten Umfeld, Trott und Leben geblieben, hätte sich gar nichts verändert. Weder ich noch mein Leben wäre anders geworden - von der Rückkehr zu Glück und guter Laune will ich gar nicht erst reden. Aus diesen Jahren habe ich ein großes Learning mitgenommen: Sollte es bei mir noch einmal zu einem Burn-out kommen, dann habe ich mich dafür entschieden. Klingt verrückt? Vielleicht. Dass daran viel Wahres ist, erkennt man dann, wenn man seinen Blickwinkel einmal verändert. Ich hatte bereits einen Burn-out. Ich bin mir bis ins Detail darüber bewusst, wie es überhaupt dazu kommen konnte, weil ich mich eingehend mit mir selbst und meiner Vergangenheit beschäftigt habe. Daraus habe ich eine große Zahl an Lehren gezogen, die dazu geführt haben, dass ich wieder rundherum glücklich und gut gelaunt bin. Durch sie habe ich verinnerlicht, was ich tun muss, damit das so bleibt. Mit diesem Wissen verhindere ich, dass mich der Burn-out ein zweites Mal erwischt. Erst wenn ich all diese Dinge vergesse, missachte oder nur noch halbherzig tue, bereite ich wieder den Weg für eine neue mentale Krise. Das wäre dann eine bewusste Entscheidung und den erneuten Burn-out hätte ich mir dann hart erarbeitet.
Meine Entscheidung steht
Ich will einfach nicht, dass es wieder so weit kommt und bin bereit, alles dafür zu tun, um es zu verhindern. Meine Entscheidung steht: Nie mehr wieder lande ich in so einem Tal der Verzweiflung. Ich lasse es nicht zu, dass mich Menschen oder Umstände noch einmal mental so in die Knie zwingen. Der André, der ich heute bin, steht fest mit beiden Beinen in seinem Leben. Natürlich werden da irgendwann auch mal Dinge kommen, die mich umwerfen. Im Gegensatz zu früher habe ich dann aber die richtige Antwort parat und stehe ganz schnell wieder auf. Es ist wie beim Tennis. Der Aufschlag eines Gegners kann noch so mächtig sein. Allein auf meinen Return kommt es an, ob daraus ein Punkt für ihn oder für mich wird. Ich habe gelernt, den Ball richtig zurückzuspielen. Das klappt nicht immer, klar. Aber ich werde mit jedem Mal besser. Ich gebe nicht auf. Für mich!
Fröhlichst
dein André
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